Abstracts
CURA ANIMARUM (2017) 3/1

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Hans-Arved Willberg

Wissenschaft als Glaubensakt
Das Metamodell für Seelsorge und Psychotherapie

Die Paradigmenwechsel in der Theologie weg von der überkommenen Amtsseelsorge hin zu einem neuen Verständnis von seelsorgerischer Kompetenz und in der Psychotherapie weg von der Ausgrenzung von Spiritualität hin zu ihrer Integration lassen es dringlicher als je erscheinen, nach einem gemeinsamen epistemologischen Fundament für beide Disziplinen zu fragen. Sich gut ineinander fügende Bausteine dafür sind die Unterscheidung von Wissen und Glauben bei Immanuel Kant, die auf Platon zurück gehende Unterscheidung von propositionalem und nicht-propositionalem Wissen, die Kerngedanken der Wissenschaftstheorie Johann Gottlieb Fichtes und der Raffinierte Falsifikationismus von Imre Lakatos. Ihnen allen ist gemein, dass wahrheitsgemäßer Erkenntnisfortschritt nur möglich ist, wenn die Relevanz des Erkannten ihrer Evidenz wegen nicht gewusst, sondern geglaubt wird. Der Glaube erweist sich somit gleichermaßen als epistemologisches Grundmoment der Theologie wie der empirischen Psychologie. In beiden Disziplinen geht es darum, wie glaub-würdig das Behauptete ist.


Matthias C. Bettex

Die Relevanzkrise der Kirchen
Christsein in der Postmoderne

Ausgehend von Tomars’ soziologiegeschichtlicher Unterscheidung von „kooperativer“ und „kompetitiver“ Gesellschaft werden die Milieuformen der heutigen westlichen Gesellschaft nach Gerhard Schulze vorgestellt. Es wird der Versuch unternommen, vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung der Milieuformen eine soziologische Standortbestimmung der Kirche in der Postmoderne durchzuführen. Dabei zeigt sich, dass die kirchlichen Systeme ihrem Selbstverständnis und der öffentlichen Wahrnehmung nach Milieuformen vertreten, die dem Selbstverständnis postmoderner Menschen nicht mehr gerecht zu werden vermögen. Das gilt gleichermaßen für Großkirchen wie für Freikirchen und erweist sich in der Aporie, dass die kirchlichen Versuche, postmoderne Menschen für sich zu gewinnen, den unausgesprochenen Appell implizieren, sich von den postmodernen Milieuformen abzukehren und sich älteren, fragwürdig gewordenen gesellschaftlichen Paradigmen zu unterwerfen. Der spirituell suchende postmoderne Mensch erlebt das keineswegs als Heimkehr zu Gott und seiner wahren Gemeinde, sondern als selbstentfremdende Vereinnahmung. Als Lösung deutet sich an, dass die Kirche das spirituelle Bedürfnis der postmodernen „Erlebnisgesellschaft“ in der Weise ernst nimmt, wie es sich darstellt, und auch als ihr eigenes zu verstehen lernt.